#2 – Jonglieren mit Zwiebeln

Man möchte meinen, dass man nach einem Urlaub in Norwegen den guten Umgang mit Geld, das Anschleichen an Elche oder das richtige Entfernen von lästigen Gräten aus gebratenem Fisch erlernt hat, ganz und gar jedoch nicht das Jonglieren mit Zwiebeln, das mir ein zwielichtiger Gaukler zeigte, vor der atemberaubenden Kulisse einer Bergkette und deren steil abfallenden Felswänden, die in nördlicher Manier in einen glasklaren See münden. Nach mehreren in Norwegen verbrachten Tagen merkt man, dass die Normalität in diesem Land nach anderen Spielregeln verläuft und man erkennt, dass man sich diesen fügen muss, um im Alltag Schritt halten zu können und nicht in den endlosen Weiten der Natur verschwindet. In den Sommermonaten ist das Tageslicht unbegrenzt und was das genau bedeutet, versteht man erst, wenn man es mit dem eigenen Körper und mit den eigenen Augen miterlebt hat. Bei Licht einzuschlafen und bei Licht aufzuwachen ist verwirrend und das allumfassende Wissen, dass sich während des Schlafs keine Dunkelheit ausgebreitet hat, die normalerweise Häuser, Straßen und alles andere umfängt, macht die banale Tatsache zu einer Sensation. Es wirkt beinahe so, als würde jemand oben im Himmel eine riesige Taschenlampe auf das Fleckchen Erde, das Norwegen einnimmt, richten, um bis ins kleinste Detail beobachten zu können, was bei den Menschen da unten vor sich geht.

Doch genauso schnell, wie man sich an die teuren Preise gewöhnt, so verdrängt man auch die immerwährende Helligkeit in den Hintergrund und erkennt erst dann das ewige Blau, das sich vor einem auftut, egal, wohin der Blick schweift. Nichts als Blau hinter Blau hinter Blau. Der Norden Norwegens besteht buchstäblich aus Blau und wenn man bis jetzt annehmen mochte, dass diese Farbe langweilig und hauptsächlich in den Regionen über uns vorkommt, so hat man noch nie die vielen Seiten dieses Landes wahrnehmen dürfen. Je nach Sonnenstand und Wellengang erstrahlt das kalte Meerwasser in einem anderen Blauschimmer, als würde sich jemand bemühen, unterschiedliche Färbungen hinein zu leeren, um den Menschen eine besondere Freude zu machen. Die Bucht der einsamen Insel einer griechischen Göttin könnte nicht lieblicher glänzen und das alles bei einer immerfort leuchtenden Sonne.

Wenn man sich nach einiger Zeit an dem Meeresrauschen satt gesehen hat – und das passiert wahrlich erst spät –, kehrt man wieder zu den Absonderlichkeiten dieses Völkchens zurück und lebt sich in die norwegische Kultur ein. So hoch im Norden gelegen und Standort des größten Langhauses der Wikingerzeit, ist es nicht überraschend, dass die Lofoten eine hohe Affinität für lang zurückliegende Bräuche und Geschichten haben. Die Trolle in den Bergen sind genauso lebendig wie die verkleideten Menschen, die bei einem Wikingerfest mit dem Segelboot über das Wasser schippern und durch lautes Rufen Erzählungen von großen Helden und Heldinnen kundtun. An so einem berauschenden Tag, wo Kultur mit Mythos zusammenfällt und die sonst so verlassenen Orte vor Leben sprühen, fand auch das Erlebnis mit dem Gaukler statt, der mich das Jonglieren lehrte als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Seitdem habe ich es nie wieder probiert, denn das Flair ist zu Hause ein anderes.

Was mir an diesem Land jedoch am besten gefällt, ist die Ruhe, die einkehrt, wenn die Sonne schon tief am Himmel steht, die Fischerboote am Steg vertäut sind und die letzten Elche in den Tiefen des Waldes verschwunden sind. Dann legt sich ein schwerer Schatten über die spitzen Berge, die zu besteigen ein wahrlich gefährliches Abenteuer ist, und das Blau des Meeres verfärbt sich schwarz als Kontrast zu den immer hellen Wolken, die in ihren unendlichen Bahnen davonziehen. Das Wasser scheint sich zu einem Spiegel zu verwandeln, den man mit vorsichtigen Schritten überqueren könnte, so ruhig und glatt liegt er vor den vor Freude leuchtenden Augen – wenn man doch nur leicht genug wäre.

Würde man mich heute fragen, wohin ich im schlimmsten Fall auswandern würde, so wären es die entlegenen Dörfer der Lofoten, wo die Ruhe nie zu vergehen scheint. Gemeinsam mit meinem Fischerboot würde ich über den Atlantik segeln, den Möwen bei ihrem spielerischen Kreisen zusehen und die Unendlichkeit des Nichts ergründen, die hier im Norden nicht in Langeweile, sondern in Seelenfrieden mündet.

Eine Erinnerung, in die man sich auch während unruhiger Zeiten zurückflüchten kann, denn die Tagträume werden in Gedanken immer frei sein und einen letzten Ausweg bieten.

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