#4 – Eine persönliche Liste
Ich liebe es, Listen zu schreiben. Man könnte behaupten, es ist so etwas wie eine Leidenschaft von mir, die sich schon vor vielen Jahren etabliert hat. Damals haben die Leute angefangen mir Notizbücher zu schenken, weil sie schön aussehen, nicht viel kosten und ein immer beliebtes Mitbringsel sind – zumindest waren das meine üblichen Gedanken, als ich das bunte Papier in Fetzen zerriss und ein Buch mit glatten Seiten zum Vorschein kam. (Ich möchte hier nicht schlecht über Notizbücher schreiben, aber wer zum Teufel gebraucht sie noch im Jahr 2020, wo man doch schon alles in sein Smartphone tippt? Außerdem ist die Vorstellung ein Buch ohne Wörter, ohne Sätze und ohne Geschichten geschenkt zu bekommen, ein wenig absurd, wenn man länger darüber nachdenkt. Da gibt es Millionen Bücher auf der Welt und die Person entscheidet sich ausgerechnet für eines, in dem nichts drinnen steht und gibt so zusätzlich einen Haufen Arbeit weiter, denn die Seiten füllen sich nicht von alleine. Was für ein Vertrauen muss in die beschenkte Person vorhanden sein, wenn ihr zugemutet wird, die richtigen Wörter für ein leeres Buch zu finden? Es ist beinahe so, als würde man ihr den brotlosen Beruf des Schriftstellertums ungefragt aufhalsen.)
Auf jeden Fall habe ich mittlerweile ein gesamtes Regal voll mit zum Teil angeschrieben und zum größten Teil leeren Notizbüchern, die nur darauf warten, endlich für mein neuestes Tagebuch auserwählt zu werden. Da ich dem stillen Flehen von nackten Notizbüchern nur schlecht standhalten kann, habe ich schon vor einiger Zeit begonnen Listen zu schreiben. Listen sind ein einfaches literarisches Gut, denn mit einem Wort pro Zeile kann man in Windeseile eine Seite füllen und wenn man sich dranhält, hat man vielleicht in einem Jahr ein gesamtes Notizbuch ausgeschrieben. Ich habe Listen über die unterschiedlichsten Dinge geschrieben: eine Liste mit Lebensfragen an niemand Speziellen, eine Liste mit Liedern, die die schönsten Pausen enthalten, eine Liste mit meinen Lebenszielen, eine Liste mit Vor- und Nachteilen, wieso ich mich mit einem Thema oder einem Menschen auseinandersetzen sollte, eine Liste mit Konzerten, die mein Leben berührt haben, und so weiter.
Vor einem Monat habe ich eine neue Liste angelegt und dabei habe ich mich sogar getraut ein neues, ganz besonderes Notizbuch anzupatzen. Drei Jahre ist es her, seit ich mit meiner Familie das Wohnhaus der berühmten Bronte-Schwestern besucht habe und mir dort vorsätzlich ein kleines, liniertes Büchlein gekauft habe, in das ich etwas ganz Spezielles hineinschreiben würde, so war es damals mein Plan. Drei Jahre lang verstaubte dieses Notizbuch in meinem Regal, bis mir die perfekte Liste eingefallen ist, für die ich die leeren Seiten verwenden würde: Es ist eine Liste über Romane, in denen ich starke Frauenpersönlichkeiten gefunden habe, die mich inspirieren, begeistern und seit einiger Zeit begleiten, sei es, dass das Werk offensichtlich von einer mächtigen Frau handelt, oder nur nebenbei bzw. unbewusst das Leben einer solchen charakterisiert. An dieser Stelle könnte ich nicht sagen, welche Art von Roman ich favorisiere.
Auf meiner Liste findet man unterschiedlichste Frauenbilder; sie ist bunt durchgemischt, wie ein Puzzle mit unendlich vielen Teilen. Seit einigen Monaten achte ich nun darauf, wie Frauen in Romanen dargestellt werden und welche Rollen sie einnehmen und je mehr ich mich in diese Thematik einarbeite, desto mehr kann ich mir nicht vorstellen, jemals wieder ein Buch in die Hand zu nehmen, in dem drei Viertel der Charaktere weiße Männer sind. Es begeistert mich, wie sehr die Nische der starken weiblichen Hauptrolle in Romanen floriert, in denen es nicht darum geht, dass die junge Frau schlussendlich den geheimnisvollen Mann abkriegt, der sie beschützt und auf sie aufpasst. Vielmehr geht es um die Selbstständigkeit einer Person, wie sie sich entwickelt und was sie daraus macht, auch wenn das Schicksal gegen sie arbeitet.
Ich liebe es, Romane über historische weibliche Persönlichkeiten zu lesen, die im Geschichtsunterricht leider in Vergessenheit geraten sind, deren Lebenslauf jedoch so spannend und fesselnd ist, dass ich es als Schande erachte, diese Bücher nicht weiterzuempfehlen. Die Frauen in dieser Spate sind so herausragend, dass es nicht bedarf, sie als stark oder selbstbewusst zu beschreiben, denn allein ihre Handlungen und die Schreibstile der Autorinnen reichen aus, um den Leser*innen zu zeigen, welche Persönlichkeiten hier verborgen sind.
Wir leben leider noch immer in einer Welt, in der das Frauenbild unbewusst einer strikten Linie folgen sollte und jegliche Abweichungen werden zuerst kritisch beäugt und dann in manchen Fällen akzeptiert, in manchen abgelehnt. Romane über starke Frauenpersönlichkeiten machen mich glücklich, sie inspirieren, fördern mein Selbstbewusstsein und zeigen mir, wie sich mein Leben in Zukunft verändern könnte. Eines Tages ein Buch zu veröffentlichen, dass sich in meine kleine Liste einreihen darf, füllt eine weitere Zeile in der Aufzählung meiner Lebensziele.
Es ist eine Motivationsliste, bei der ich ein wohliges Bauchgefühl bekomme, wenn ich einen neuen Titel darauf schreiben kann. Natürlich sind viele von ihnen „nur“ Geschichten, aber wir wissen doch alle, dass seit jeher aus Büchern am meisten gelernt wurde.